Samstag, 1. Juni 2013

Im Schatten der Zeit // Geschichte

Vorwort: Als ich dieses Bild in der Zeitung sah, kam mir ein Einfall, so schnell ein Ferkel blinzelt. Vorneweg, ich habe Gefallen an alten verwunschenen Gebäuden gefunden. Sieht das nicht irgendwie märchenhaft aus? Allerdings gibt es diesen Zustand des Hauses nicht mehr. Es wurde renoviert und sieht anders aus und ist bewohnt.

Im Schatten der Zeit Teil I



Ein erdrückendes Schweigen holte uns ein. Das Entsetzen hatte sich in unseren Gesichtern festgekrallt, wie eine Katze bei einem Apfelbaum. Keiner wagte etwas zu sagen. Die Idee, die Johann der Anführer unserer Spielbande brachte, war angsteinflößender als irgendeine finstere dunklere Nacht, die wir auf Friedhöfen verbracht hatten. Auf meinen Armen stiegen meine wenigen Haare empor. Aber es war spannender dieses  Geheimnis zu entlüften, als wieder die gewohnten Spiele zu spielen. Ich nickte also zur Bestätigung, stand auf und spürte wie die Angst der anderen Jungen an mir zu ziehen begann. Trotz des Widerstands blickte ich in die Runde und ging voran. Hinter mir hörte ich ein entsetzliches Seufzen und ich bemerkte, dass sie mir jetzt dicht hinterher schlurften. Diesmal war ich der Anführer, ein Zurück gab es nicht mehr.
Die Villa offenbarte uns nach wie vor als ein Geisterhaus. Die Farbe blätterte an den Wänden ab und manch Fensterläden hingen schief. Die Natur hatte sich das zurück geholt, was ihr genommen wurde. Die Wege, die früher einmal gepflegt waren, wurden jetzt von Unkraut überwuchert. Dass hier jemand wohnte, war unvorstellbar. Aber es hieß, dass hier eine einsame alte Dame wohnte. Ihr Name war die Hexe. Wie sie in Wirklichkeit hieß, wusste niemand. Es wurde nur gemunkelt, sie würde Kinder fressen oder die Hexe schloss sie in diesem Geisterhaus ein. Aber nie wurde je ein Kind aus unserem Ort vermisst oder aus unerklärlichen Gründen verschwunden. Also war an dieser Sache auch nichts dran. Aber etwas zu glauben, was nicht die Wahrheit war, schien viel leichter zu sein.
Die meisten Menschen sahen hier nichts als ein heruntergekommenes Haus, das endlich abgerissen werden wollte. Die Kinder sahen darin ein Geisterhaus. Ein Haus, das Geheimnisse hatte und nun entdeckt werden sollten. Wir standen zu dritt im Dickicht und wagten keinen Schritt in das Grundstück. David stoß mich nach vorne. >> Du bist dran! << krächzte er.
Ich sah Johann, David und Martin in die Augen und schluckte. Ich tat den ersten Schritt und nichts passierte. Den zweiten und noch immer kam keine Hexe aus ihrem Häuschen. Ich blickte nach hinten. Die Jungen waren wie versteinert stehen geblieben und starrten in meine Richtung , in die ich zu gehen versuchte. Ich folgte ihren Blicken und da sah ich sie. Die alte Hexe stand auf der Veranda und starrte zu uns herüber. Ihr Gesicht funkelte und man könnte meinen, sie würde einzelne Blitze auf uns abfeuern. >> Schnell weg hier! << schrie Johann. Die drei Jungen verschwanden in dem Gebüsch. Ich blinzelte wieder zu der Alten hinauf und wieder zurück. Meine Füße schienen mich nicht von hier weg bringen zu wollen. Auf einmal hob die alte Hexe ihr Hand und man sollte glauben, sie würde mich grüßen. Ich wagte weitere Schritte in ihre Richtung und erst da erkannte ich, dass das Funkeln auf ihrem Gesicht nicht weiter war, als ein paar Tränen, die von der Sonne reflektiert wurden. Diese alte Dame weinte. Je näher ich kam, bildete sich auf ihrem Gesicht ein wohlwollendes Lächeln. Drei Meter blieb ich vor ihr stehen. Verschüchtert schaute ich sie an. Ihr Gesicht war übersät von vielen Falten und auf ihrem krummen Rücken, schien sie eine schwere Last zu tragen. Durch ihren Tränenschleier erkannte ich himmelsblaue Augen, die darauf warteten, mir eine Geschichte zu erzählen. Erst jetzt, begann ich zu lächeln.
Sie streckte mir ihre Hand entgegen. >> Ich heiße Aurelia. Vielen Dank, dass du mich besuchen kommst. << Ich ergriff sie und stellte mich ebenfalls vor.
>> Emma… Ein wunderschöner Name für ein solches Kind wie dich. << flüsterte sie.
>> Danke… << stotterte ich.
>> Dank deinen Eltern, nicht mir. Ich danke dir, dass du gekommen bist. <<
Sie bat mich einzutreten. Die Räumlichkeiten, die mich begrüßten, waren in stiller Einsamkeit getränkt. Aber trotzdem sah es hier aufgeräumter aus, als die Hausfassade selbst.
>> Damals war das Haus voller Kinder…<< Sie seufzte und fuhr fort. >> Aber jedes Kinder wird leider älter. <<
>> Warst du auch mal Kind? << fragte ich. Ich konnte es mir schwer vorstellen, dass diese alte Frau selbst einmal in Kinderschuhe gepasst haben soll.
Sie lächelte traurig. >> Aber natürlich. So, wie du einmal später eine alte Dame sein wirst. <<
Sie nahm mich bei der Hand. >> Ich will dir etwas zeigen. <<
Sie führte mich in einen noch größeren Raum, der mit lauter Staffeleien ausgestattet war. An den Wänden hingen einzelne Malereien. Es zeigte Aurelia, in dunklen groben Pinselstrichen. Jedes Bild hatte ein Anderer gemalt. Aber es zeigte immer dieselbe traurige Person.
>> Die Menschen sehen mich so, wie ich nicht bin. Sie machen sich ein Bild von mir und das ist es, woran sie glauben. Aber wer ich wirklich bin, interessiert sie nicht. Wenn du versuchst, jemanden klar zu machen, wer du bist, dann verschlimmerst du sein Bild von dir nur noch mehr. Ich rate dir, sei du selbst, und überzeuge sie nicht mit deiner Person. <<
Ich schaute sie fragend an.
>> Jede dieser Bilder hat ein Mensch aus diesem Ort gemalt. Es kommt mich immer mal jemand besuchen. Aber nicht die gleiche Person zweimal. Sie glauben, sie würden mir etwas Gutes tun, wenn mich welche besuchen kämen. Aber in ihnen verstecken sich doch immer die wirklichen Gründe, warum sie gekommen sind. Und ich grabe sie aus. <<
>> Und was sind das für Gründe? <<
>> Sie wollen das Haus abreißen. Und irgendein Geschäft bauen. <<
Ich nickte, denn ich wusste, was sie meinte. Es war eine Frage der Zeit, wann es soweit kommen würde.
>> Aber nimm doch bitte einen Pinsel. Bitte male mich. Denn du bist ein Kind. <<
>> Aber ich kann nicht malen. Und ich will sie nicht verletzen. <<
Sie deutete auf die Bilder. >> Diese hier, haben die gierigen Erwachsenen gemalt. Aber du Emma, bist ein Kind. Ein unschuldiges Kind. <<
Sie setzte sich auf einen Schaukelstuhl und ich mich hinter eine Leinwand. Ich tauchte den Pinsel in die hellsten Farben ein, die ich finden konnte. Bei jedem Pinselstrich schaute ich Aurelia an, wie sie ins Leere starrte. Aber ich malte nicht sie. Nicht ihr trauriges Gesicht, sondern ihr Inneres. Denn das Äußere ist nur das Etikett eines Menschen. Das Wirkliche verbirgt sich im Inneren. Als ich fertig war, schien mein Gemälde zu leuchten. Es hatte nur wenige dunkle Tupfer. Das waren die verborgenen Sachen, die Aurelia mir verbarg. Die Last, die sie auf ihrem Rücken trug. Aber ihr Inneres war reiner, denn je. Als ich aufschaute und es ihr zeigen wollte, war Aurelia eingeschlafen. Ich stellte das Bild zu ihren Füßen auf den Boden und schrieb auf die Bildrückseite, dass ich morgen wieder kommen würde. Bevor ich ging, strich ich ihr über ihre Wange.
Ich behielt mein Versprechen und kam jeden Tag wieder. Und sie erzählte mir von einem Kind, das sie selbst einmal gewesen war.
Aber dazu, komme ich ein anderes Mal.  



(Alle Rechte liegen bei mir. Für eigene Verbreitung nicht erlaubt. Lesen darf man es trotzdem )


4 Kommentare:

  1. Gott das ist schön und traurig zugleich irgendwie :)
    Einfach grandios geschrieben.
    Ich kann es kaum erwarten bis der nächste Teil kommt <3
    JC

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    1. Dankefein :-) das freut mich riesig.

      Der nächste Teil ist auf dem Weg!

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  2. "Die Räumlichkeiten (...) waren in stiller Einsamkeit getränkt"
    Das ist ein toller Ausdruck.
    Ich bin gespannt, denn ich glaube, dass Aurelia ein Geheimnis umgibt, dass es noch zu lösen gilt, oder?
    Liebe Grüße
    Der Mann mit den Adleraugen

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  3. Herzlichen Dank für deinen Kommentar! Das erhellt mir, den trüben und nassen Tag :-)

    Vielleicht, vielleicht! Die Fortsetzung kommt morgen ;-)

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