Mittwoch, 5. Oktober 2016

Das Moor - Connis Geschichten

Diese Geschichte habe ich bereits auf einem anderen Portal veröffentlicht, da war ich 16 Jahre jung.

Das Moor

Du gehst einfach. Schlägst die Tür hinter dir zu. Gehst normal. Ohne dich zu verabschieden. Dein Kopf eingezogen. Dass dich keiner erkennt. Machst deine Musik an. Eine passende. Für diese Stimmung. Dir ist einfach langweilig. Weißt nicht, was man den ganzen Tag machen soll. Und dann gehst du einfach. Weil du einfach das Verlangen danach hast. Das, was du schon vor vier Tagen machen wolltest. Aber immer auf den richtigen Augenblick gewartet hast, und ihn dann verpasst hast. Hast es immer verschoben. Und heute, dachtest du dir, du machst es einfach. Perfektes Wetter. Keine Sonne. Kein Regen. Grauer Himmel. Das ist einfach nur schön. Während dem Gehen, denkst du dir, hoffentlich sieht dich keiner. Oder spricht dich an. Du willst einfach nur deine Ruhe haben. Scheiße, denkst du dir, wenn du jemanden siehst. Obwohl, du ihn nicht kennst. Gehst einfach ihm entgegen, grüßt, und damit hat sich die Sache. Gehst weiter. Siehst wieder jemanden. Jemanden der angelt. Zwei Jungs. In deinem Alter. Einfach durch, sag nichts. Du glaubst sie zu kennen. Du glaubst, das sind die, die dir dein Leben schwer gemacht haben. Für kurze Zeit. Aber du gehst einfach an ihnen vorbei. Sagst nichts. Würdigst ihnen keine Blicke. Und dann sind sie hinter dir. Bis du sie nicht mehr sehen kannst. Dann bist du hoffentlich alleine. Du gehst einen kleinen Weg. Einen Kieselweg. Ringsum lauter schöne Blumen. Sträucher. Scheiße, wieso bist du nicht schon vor vier Tagen hier her gekommen. Das kann ja nicht sein, dass es hier so schön ist. In der Nähe. Dann hörst du den Fluss plätschern. Wohlgefühl steigt in dir auf. Und dann siehst du die kleine, winzige Brücke. Sie ist schon ziemlich morsch. Aber du gehst über sie. Ein bisschen knackt sie. Aber du brichst nicht ein. Du spürst jetzt die Natur. Aber gehst weiter. Und da bist du. Beim Moor. Tote Bäume. Frische Sträucher. Wasser. Matsch. Und du bist einfach allein. Du fühlst dich allein. Du denkst dir, niemand wird hier her kommen. Niemand wird sich hier her wagen. Du denkst daran, was dir deine Eltern sagten, als du noch ein kleines Kind warst. Und von nichts eine Ahnung hattest. Gehe nicht zu diesem Moor. Da kannst du leicht einsinken. Da ist sogar schon jemand mal gestorben. Aber du hast geguckt, im Internet. Und fandst keine Seiten, die den Tod eines Menschen in diesem Moor beschrieben. Aber du kamst auf Seiten, wo du Moorleichen gesehen hast. Leichen. Graue Leichen. Und dann wagst du deinen ersten Schritt. Und spürst, wie langsam das Wasser in deine Schuhe sickern. Du suchst eine Stelle, wo du nicht so schnell sinkst. Und du gehst weiter. Schaust zurück, aber bist noch nicht so weit. Und immer weiter. Mal bleibst du stehen, und merkst, wie richtig fest, du von unten gezogen wirst. Schaust nach oben, und merkst wie schnell du sinkst. Aber es fühlt sich toll an. Und dann das Wasser. Deine Socken werden nass und deine Schuhe sowieso. Aber du gehst weiter. Und bleibst immer wieder stehen, weil du dieses Gefühl toll findest. Festgehalten zu werden und in die Wärme gezogen werden. Rein in den Tod. Aber du blickst auf, und denkst dir, du hast noch dein ganzes Leben vor dir, und willst jetzt noch nicht. Deswegen verweilst du nur kurz auf diesem Moos. Dass dich will. Dieses Moor, dass mehr Tote braucht. Und dann blickst du wieder zurück, und siehst, dass du es doch geschafft hast, weiter zu kommen. Und du blickst nach vorne. Und da hast du noch mehr als die Hälfte vor dir. Die Stellen, die du nicht kennst. Und du kehrst wieder um. Ein andermal denkst du dir. Du gehst schneller, als vorher. Dann stehst du wieder auf festem Boden. Und gehst. Vor dem Denkmal bleibst du stehen. Ein Fliegerdenkmal. Otto. Noch ein Otto. 1975 oder war es 1925. Karl Heinz. Die frischen Blumen davor. Faltest deine Hände. Aber betest nicht. Du faltest sie einfach. Denkst auch nicht an Gott. Du machst es einfach. Und dann denkst du dir, es ist sinnlos und gehst. Bevor du aber gehen willst, gönnst du dir noch eine Erfrischung in einem kleinen Bach. Es ist nicht wirklich viel Wasser drinnen. Ziehst dir einfach nur deine Schuhe aus. Deine Strümpfe. Und dann stehst du da in diesem eiskalten Wasser. Siehst wie deine blauen Adern auf deinen Füßen immer dicker und sichtbarer werden. Deine Füße werden röter. Aber es fühlt sich toll an. Die Kälte. Und dann, leider siehst du Menschen kommen. Du kennst sie vom Sehen. Sie kennen deinen Namen. Aber du ihren nicht. Es sind ältere Menschen. Sie bleiben vor dir stehen und starren dich an. Von Kopf bis Fuß.
Dass du, in diesem kalten Wasser stehst, an einem so kalten Tag. Sagen sie dir.
Du sagst nur Ja.
Na wenn es Spaß macht.
Ja. Und du lächelst und innerlich denkst du dir, wieso haben die Leute kein eigenes Leben? Und müssen immer irgendwelche Sprüche lassen, wenn sie dich sehen, etwas vielleicht Ungewöhnliches. Etwas Verrücktes. Was sie selber noch nie gemacht haben. In ihrem nicht vorhandenen Leben. Und dann verschwinden sie. Und du ziehst dir wieder deine Schuhe an. Und gehst. Dann hältst du nach den Fischern Ausschau. Siehst sie. Und du willst nicht an ihnen vorbei. Du gehst zu der Stelle, wo der Weiher aufhört. Dorthin, wo du als kleines Kind immer gespielt hast. Du hörst den Bach rauschen. Den kleinen, wirklich kleinen Wasserfall plätschern. Wenn man das überhaupt Wasserfall nennen kann. Und Erinnerungen steigen in dir auf. Leute, die du mochtest. Und vielleicht immer noch magst. Aber sie nicht mehr an deinem Leben teil haben. Aber du genießt einfach diese Stelle hier. Sitzt auf einen Felsen. Und schaust dem Wasser zu. Das klare Wasser. So schön. Und dann schaust du an dir herunter und siehst dich ganz anders. Du fühlst dich immer noch wie ein Kind. Und willst auch eines sein. Du willst kein Erwachsener sein. Einfach Kind. Frei sein. Spielen. Der Natur so nahe.
Und dann stehst du auf und gehst. Gehst wieder nach Hause. Kopf wieder eingezogen. Und Musik an. Und gönnst den Menschen keinen Blickes. Und zuhause fragt dich dann deine Mutter, wo du gewesen bist. Aber du sagst was anderes. Einen anderen Ort. Weil du willst, dass dort niemand hinkommt. Und dann, wenn du dein Zimmer betrittst, fühlst du dich doch schlecht, weil du sie angelogen hast. Aber, du konntest einfach nicht anders. Du brauchst deine Freiheit.