Ich hatte
sie lieb gewonnen. Das alte Weiblein, das in dem verwunschenem Haus lebte.
Ich hatte
das warme Lächeln ihres Gesicht lieb gewonnen, welches jedes Mal wuchs, wenn
ich durch den Hauseingang gehuscht kam. Ihre tiefen Augen, die mir so viel
erzählen konnten, ohne, dass ich nachfragte. Ihre rauen Hände, die meine
hielten, wenn sie mir eine Geschichte aus ihrem Leben vorlas. Ja, ich hatte ihr
Dasein zu schätzen gewusst.
Die Sonne
strich zu schnell über den Horizont. Die Minuten und Sekunden vergingen wie im
Zug. Die Stunden, die ich bei ihr verbrachte, waren so kurz, wie eine Minute.
>>
Mädchen… ach Mädchen ja. <<
Ich
schreckte aus der Traumreise in die vergangene Zeit auf. Bilder in meinem Kopf
von Schmieden und Mägden vermischten sich wirr zusammen und verschwanden potz
plötzlich. Dieses „Mädchen…ach Mädchen ja“ war kein gutes Zeichen, wenn Aurelia
sprach. Tränen sammelten sich in meinen Augen, sowohl auch in Aurelia ihren.
>>
Wenn du angefangen hast, jemanden zu lieben, dann musst du auch anfangen, ihn
gehen zu lassen. << Sie las aus meinen Augen, in denen sich jeden Tag die
Angst vor dem Tod verbarg.
>> Ich
bin alt, sehr alt. Irgendwann wirst du mich… <<
Ich
schüttelte den Kopf. Dieses Thema mochte ich ganz und gar nicht.
>> Als
ich so klein war wie du… in deinem Alter… << begann sie zu erzählen.
♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦
>>
Eule… << flüsterte er.
So nannte er
mich immer. Das war mein Spitzname. So flüsterte er meinen Namen in der Schule,
wenn er eine Lösung nicht wusste und sich dann trotzdem in die Ecke stellen
musste.
So rief er
mich, wenn wir im Dorfsee plantschten und uns mit dem kühlen Nass gegenseitig
bespritzten.
Sein
liebherziges Lachen hallte in meinem Kopf. Das Lachen, das einen glücklich
machte.
>>
Eule… <<
Tränen
bahnten sich einen Weg über meine Wangen.
Ich wusste,
dass er jeden Moment sterben würde. Ich wusste, dass ich jeden Moment ein
Einzelkind werden würde. Ich wusste… aber ich wollte es nicht.
>>
Vergiss mich nicht… aber lebe ohne mich weiter. <<
Ich nickte
leicht.
>> Ich
will nicht… dass du nach meinem Tod traurig bist. Ich will, dass du glücklich
bist. <<
Sein
Händedruck wurde stärker. >> Du musst anfangen, mich gehen zu lassen. Ich
schaff das hier nicht mehr. Bitte quäle mich nicht noch weiter. <<
Ich sah ihn
erstaunt an. Ich quälte ihn? Ich? Was hatte ich getan… Ich saß doch nur bei
ihm. Ich begleitete ihn auf seinem Sterbebett. Ich wollte doch nicht, dass er
alleine war.
>>
Aber ich will nicht, dass du alleine stirbst. <<
>> Das
ist lieb von dir. Aber du musst mich gehen lassen. Deine Seele muss mich gehen
lassen. <<
Ich legte
meinen Kopf auf seine Brust und der Schlaf übermahnte mich und mit seinem
letzten Herzschlag, schlief ich ein.
Ich sah
meinen Bruder vor mir. In seinem weißen Nachthemd, was er zuvor noch trug. Er
lachte und hielt meine Hände. Wir tanzten im Kreis und lachten miteinander.
Ringsum uns herum blühten die Apfelbäume rosa und die Vögel zwitscherten. Mir
kam es seltsam vor, denn vor einer Weile trugen die Bäume noch Schneelasten. Frühling war die liebste Jahreszeit von meinem
Bruder.
Wir
durchstreiften die Wälder und sprangen in den See.
>>
Danke meine allerliebste Schwester! << rief er mir kichernd zu. Er
strahlte. Seine Krankheit war verschwunden. Seine Stimme war so hell wie vor
ein paar Wochen.
Er hielt
inne und sah mich an. >> Eule, ich werde auf dich warten. <<
Dann ließ er
meine Hände los und verschwand im Nichts.
Ich hielt
daran fest, was er mir aufgetragen hatte. Anfangs war ich natürlich traurig.
Aber ich gewöhnte mich schneller an seine Abwesenheit, als meine Eltern. Ich
wartete seit seinem Todestag darauf, ihn wieder zu sehen und lebte mein Leben
ohne ihn weiter.
>>
Vermisst du ihn? << fragte ich Aurelia, die damals Eule genannt wurde.
Sie nickte.
>> Natürlich vermisse ich ihn. Aber ich habe ihm das geschenkt, was er
wollte. Und das machte mich all die Jahre über glücklich. <<
>>
Aber jetzt sind doch so viele Jahre über vergangen… Er ist noch ein Kind, wenn
er dich abholt. <<
Aurelia
lachte. >> Im Tod, meine Liebe, ist alles so, wie du dir immer gewünscht
hast. Da spielt es keine Rolle, ob man alt oder jung ist. Mein Bruder wird mich
so vorfinden, wie er mich immer gekannt hatte. <<
>>
Woher weißt du das so genau? << fragte ich erstaunt.
>> Mit
der Zeit…Mein Mädchen... Im Schatten der Zeit, weiß man das. <<
Sie blickte
nach draußen in die Ferne. >> Ich glaube, deine Eltern machen sich schon
Sorgen. <<
Ich nickte
bestätigend, verabschiedete mich mit tränennassen Augen und trat den Heimweg an.
Sehr gut geschrieben. Hut ab :D
AntwortenLöschenSehr emotional. Klasse. Warte auf mehr :) <3
JC
Dankefein :-) abwarten und Tee trinken, wie die Pippi zu sagen pflegt! Kommt bald Nachschub;-)
LöschenWusste ich doch, dass da mehr hinter Aurelia steckt!
AntwortenLöschenGefällt mir sehr gut, auch wenn (oder gerade weil) es von Traurigkeit durchwoben ist.
Liebe Grüße vom Mann mit den Adleraugen
Vielen Dank :) Freut mich sehr, dass es dem Mann mit den Adleraugen gefällt ;)
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