Im Schatten der Zeit Teil I
Ein erdrückendes Schweigen holte uns ein. Das Entsetzen
hatte sich in unseren Gesichtern festgekrallt, wie eine Katze bei einem
Apfelbaum. Keiner wagte etwas zu sagen. Die Idee, die Johann der Anführer
unserer Spielbande brachte, war angsteinflößender als irgendeine finstere
dunklere Nacht, die wir auf Friedhöfen verbracht hatten. Auf meinen Armen
stiegen meine wenigen Haare empor. Aber es war spannender dieses Geheimnis zu entlüften, als wieder die
gewohnten Spiele zu spielen. Ich nickte also zur Bestätigung, stand auf und
spürte wie die Angst der anderen Jungen an mir zu ziehen begann. Trotz des
Widerstands blickte ich in die Runde und ging voran. Hinter mir hörte ich ein
entsetzliches Seufzen und ich bemerkte, dass sie mir jetzt dicht hinterher
schlurften. Diesmal war ich der Anführer, ein Zurück gab es nicht mehr.
Die Villa
offenbarte uns nach wie vor als ein Geisterhaus. Die Farbe blätterte an den
Wänden ab und manch Fensterläden hingen schief. Die Natur hatte sich das zurück
geholt, was ihr genommen wurde. Die Wege, die früher einmal gepflegt waren,
wurden jetzt von Unkraut überwuchert. Dass hier jemand wohnte, war
unvorstellbar. Aber es hieß, dass hier eine einsame alte Dame wohnte. Ihr Name
war die Hexe. Wie sie in Wirklichkeit hieß, wusste niemand. Es wurde nur
gemunkelt, sie würde Kinder fressen oder die Hexe schloss sie in diesem
Geisterhaus ein. Aber nie wurde je ein Kind aus unserem Ort vermisst oder aus
unerklärlichen Gründen verschwunden. Also war an dieser Sache auch nichts dran.
Aber etwas zu glauben, was nicht die Wahrheit war, schien viel leichter zu
sein.
Die meisten
Menschen sahen hier nichts als ein heruntergekommenes Haus, das endlich
abgerissen werden wollte. Die Kinder sahen darin ein Geisterhaus. Ein Haus, das
Geheimnisse hatte und nun entdeckt werden sollten. Wir standen zu dritt im
Dickicht und wagten keinen Schritt in das Grundstück. David stoß mich nach
vorne. >> Du bist dran! << krächzte er.
Ich sah
Johann, David und Martin in die Augen und schluckte. Ich tat den ersten Schritt
und nichts passierte. Den zweiten und noch immer kam keine Hexe aus ihrem
Häuschen. Ich blickte nach hinten. Die Jungen waren wie versteinert stehen
geblieben und starrten in meine Richtung , in die ich zu gehen versuchte. Ich
folgte ihren Blicken und da sah ich sie. Die alte Hexe stand auf der Veranda
und starrte zu uns herüber. Ihr Gesicht funkelte und man könnte meinen, sie
würde einzelne Blitze auf uns abfeuern. >> Schnell weg hier! <<
schrie Johann. Die drei Jungen verschwanden in dem Gebüsch. Ich blinzelte
wieder zu der Alten hinauf und wieder zurück. Meine Füße schienen mich nicht
von hier weg bringen zu wollen. Auf einmal hob die alte Hexe ihr Hand und man
sollte glauben, sie würde mich grüßen. Ich wagte weitere Schritte in ihre
Richtung und erst da erkannte ich, dass das Funkeln auf ihrem Gesicht nicht
weiter war, als ein paar Tränen, die von der Sonne reflektiert wurden. Diese
alte Dame weinte. Je näher ich kam, bildete sich auf ihrem Gesicht ein
wohlwollendes Lächeln. Drei Meter blieb ich vor ihr stehen. Verschüchtert
schaute ich sie an. Ihr Gesicht war übersät von vielen Falten und auf ihrem
krummen Rücken, schien sie eine schwere Last zu tragen. Durch ihren
Tränenschleier erkannte ich himmelsblaue Augen, die darauf warteten, mir eine
Geschichte zu erzählen. Erst jetzt, begann ich zu lächeln.
Sie streckte
mir ihre Hand entgegen. >> Ich heiße Aurelia. Vielen Dank, dass du mich
besuchen kommst. << Ich ergriff sie und stellte mich ebenfalls vor.
>>
Emma… Ein wunderschöner Name für ein solches Kind wie dich. << flüsterte
sie.
>>
Danke… << stotterte ich.
>>
Dank deinen Eltern, nicht mir. Ich danke dir, dass du gekommen bist. <<
Sie bat mich
einzutreten. Die Räumlichkeiten, die mich begrüßten, waren in stiller
Einsamkeit getränkt. Aber trotzdem sah es hier aufgeräumter aus, als die
Hausfassade selbst.
>>
Damals war das Haus voller Kinder…<< Sie seufzte und fuhr fort. >>
Aber jedes Kinder wird leider älter. <<
>>
Warst du auch mal Kind? << fragte ich. Ich konnte es mir schwer
vorstellen, dass diese alte Frau selbst einmal in Kinderschuhe gepasst haben
soll.
Sie lächelte
traurig. >> Aber natürlich. So, wie du einmal später eine alte Dame sein
wirst. <<
Sie nahm
mich bei der Hand. >> Ich will dir etwas zeigen. <<
Sie führte
mich in einen noch größeren Raum, der mit lauter Staffeleien ausgestattet war.
An den Wänden hingen einzelne Malereien. Es zeigte Aurelia, in dunklen groben
Pinselstrichen. Jedes Bild hatte ein Anderer gemalt. Aber es zeigte immer
dieselbe traurige Person.
>> Die
Menschen sehen mich so, wie ich nicht bin. Sie machen sich ein Bild von mir und
das ist es, woran sie glauben. Aber wer ich wirklich bin, interessiert sie
nicht. Wenn du versuchst, jemanden klar zu machen, wer du bist, dann
verschlimmerst du sein Bild von dir nur noch mehr. Ich rate dir, sei du selbst,
und überzeuge sie nicht mit deiner Person. <<
Ich schaute
sie fragend an.
>>
Jede dieser Bilder hat ein Mensch aus diesem Ort gemalt. Es kommt mich immer
mal jemand besuchen. Aber nicht die gleiche Person zweimal. Sie glauben, sie
würden mir etwas Gutes tun, wenn mich welche besuchen kämen. Aber in ihnen
verstecken sich doch immer die wirklichen Gründe, warum sie gekommen sind. Und
ich grabe sie aus. <<
>> Und
was sind das für Gründe? <<
>> Sie
wollen das Haus abreißen. Und irgendein Geschäft bauen. <<
Ich nickte,
denn ich wusste, was sie meinte. Es war eine Frage der Zeit, wann es soweit
kommen würde.
>>
Aber nimm doch bitte einen Pinsel. Bitte male mich. Denn du bist ein Kind.
<<
>>
Aber ich kann nicht malen. Und ich will sie nicht verletzen. <<
Sie deutete
auf die Bilder. >> Diese hier, haben die gierigen Erwachsenen gemalt.
Aber du Emma, bist ein Kind. Ein unschuldiges Kind. <<
Sie setzte
sich auf einen Schaukelstuhl und ich mich hinter eine Leinwand. Ich tauchte den
Pinsel in die hellsten Farben ein, die ich finden konnte. Bei jedem
Pinselstrich schaute ich Aurelia an, wie sie ins Leere starrte. Aber ich malte
nicht sie. Nicht ihr trauriges Gesicht, sondern ihr Inneres. Denn das Äußere
ist nur das Etikett eines Menschen. Das Wirkliche verbirgt sich im Inneren. Als
ich fertig war, schien mein Gemälde zu leuchten. Es hatte nur wenige dunkle
Tupfer. Das waren die verborgenen Sachen, die Aurelia mir verbarg. Die Last,
die sie auf ihrem Rücken trug. Aber ihr Inneres war reiner, denn je. Als ich
aufschaute und es ihr zeigen wollte, war Aurelia eingeschlafen. Ich stellte das
Bild zu ihren Füßen auf den Boden und schrieb auf die Bildrückseite, dass ich
morgen wieder kommen würde. Bevor ich ging, strich ich ihr über ihre Wange.
Ich behielt
mein Versprechen und kam jeden Tag wieder. Und sie erzählte mir von einem Kind,
das sie selbst einmal gewesen war.
Aber dazu, komme ich ein anderes Mal.
(Alle Rechte liegen bei mir. Für eigene Verbreitung nicht erlaubt. Lesen darf man es trotzdem )
Gott das ist schön und traurig zugleich irgendwie :)
AntwortenLöschenEinfach grandios geschrieben.
Ich kann es kaum erwarten bis der nächste Teil kommt <3
JC
Dankefein :-) das freut mich riesig.
LöschenDer nächste Teil ist auf dem Weg!
"Die Räumlichkeiten (...) waren in stiller Einsamkeit getränkt"
AntwortenLöschenDas ist ein toller Ausdruck.
Ich bin gespannt, denn ich glaube, dass Aurelia ein Geheimnis umgibt, dass es noch zu lösen gilt, oder?
Liebe Grüße
Der Mann mit den Adleraugen
Herzlichen Dank für deinen Kommentar! Das erhellt mir, den trüben und nassen Tag :-)
AntwortenLöschenVielleicht, vielleicht! Die Fortsetzung kommt morgen ;-)